Für Aufnahme und Unterbringung sind in erster Linie Bund und Länder zuständig.
Bund muss den kommunalen Anteil an den Kosten für Unterkunft übernehmen.
Die Erfahrungen aus den vergangenen Wochen seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zeigen laut Straubings Oberbürgermeister Markus Pannermayr, Vorsitzender des Bayerischen Städtetags: „Nur im Schulterschluss mit dem Bund und dem Freistaat kann die Aufnahme von Ukrainerinnen und Ukrainern weiter gut funktionieren. Die enorme Hilfsbereitschaft bei der Aufnahme in privaten Wohnungen hat gerade in der Anfangsphase des Zuzugs eine Linderung der ersten Nöte bei der Unterbringung gebracht. Allerdings stellt sich die Frage, inwieweit und wie lange die Unterbringung in privaten Haushalten tragfähig ist.“ Die Provisorien auf der Couch oder in Gästezimmern in ehrenamtlichen Händen bieten nicht unbedingt eine Dauerlösung. Die erste Hilfe der Unterbringung in privaten Anlaufstationen ist elementar. Aber daneben ist Koordination nötig, um den Geflüchteten eine längerfristige Bleibe zu ermöglichen.
Pannermayr: „Leider steht Wohnraum nicht ausreichend zur Verfügung. Das lässt sich nicht über Instrumente wie die örtliche Obdachlosenhilfe gemäß Landesstraf- und Verordnungsgesetz lösen. Der geplante Wechsel vom Asylbewerberleistungsgesetz zum Sozialgesetzbuch SGB II zieht eine Herausforderung bei der Unterbringung von Geflüchteten nach sich. Das SGB II geht von Leistungen für Menschen mit Wohnung aus, soll den Lebensunterhalt für erwerbsfähige Arbeitsuchende sichern und sie in Arbeit eingliedern. Das SGB II kennt somit keine Lösung für Geflüchtete, die noch keine feste Wohnung gefunden haben.“ Beim Übergang zum SGB muss gewährleistet sein, dass das überwiegend staatlich finanzierte Unterbringungssystem für wohnungslose Kriegsflüchtlinge, die keine Obdachlose im herkömmlichen Sinn sind, weiter erhalten bleibt. Bei steigenden Zugangszahlen müssen Gemeinschaftsunterkünfte bestehen bleiben und bei Bedarf ausgebaut werden. Das muss für dezentrale Unterkünfte ebenso wie für Gemeinschaftsunterkünfte gelten. Theoretische Überlegungen, wonach Geflüchtete nach dem Übergang in das SGB aus Gemeinschaftsunterkünften eigentlich ausziehen müssten und somit von Obdachlosigkeit bedroht wären, sind irritierend. Pannermayr: „Mutmaßungen über Obdachlosigkeit sind nicht sachgerecht, zumal bereits geklärt ist, dass der Rechtskreiswechsel keine gemeindliche Zuständigkeit für Obdachlosigkeit nach sich zieht.“ Die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen ist keine örtliche Angelegenheit für Städte und Gemeinden, sondern erfolgt auf der Basis internationalen Rechts, von Übereinkommen der Europäischen Union und des Bundesrechts. Pannermayr: „Der Vorstand des Bayerischen Städtetags dankt dem Freistaat Bayern für die bisherige Unterstützung der Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten aus der Ukraine. Diese Unterstützung muss auch weiterhin erfolgen, unabhängig vom angekündigten Rechtskreiswechsel vom Asylbewerberleistungsgesetz zu den Sozialgesetzbüchern. Ein Rückzug des Staates mit Verweis auf den Wohnungsmarkt und die Verantwortung der Städte und Gemeinden für die Unterbringung von Obdachlosen würde die Kommunen überfordern. Für die Aufnahme und Unterbringung der Geflüchteten sind in erster Linie Bund und Länder verantwortlich. Daher stellt der Bund den Ländern hierfür Mittel zur Verfügung. Die Kommunen nehmen ihre Mitverantwortung wahr und helfen bei der Unterbringung, wo sie können. Städte und Gemeinden bemühen sich nach besten Kräften, Geflüchtete in Mietwohnungen unterzubringen.“
Der geplante Systemwechsel bei Leistungen für Kriegsflüchtlinge am 1. Juni 2022 vom Asylbewerberleistungsgesetz ins Sozialgesetzbuch SGB II (für Arbeitsfähige), ins SGB XII (für Nichterwerbsfähige) und ins SGB IX (für Menschen mit Behinderung) bringt Probleme für die Praxis mit sich. Die bayerischen Kommunen, insbesondere Städte und Gemeinden, befürchten Verschlechterungen gegenüber der bisherigen Rechtslage. Das Asylbewerberleistungsgesetz sieht eine Unterbringungsverpflichtung des Staates auf Ebene der Regierungen, Landkreise und kreisfreien Städte mit Kostenerstattung durch den Freistaat vor. Das SGB II sieht – organisiert über die Jobcenter – Leistungen für Menschen mit Wohnraum vor und ersetzt die Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU). Zu zwei Dritteln trägt der Bund, zu einem Drittel tragen kreisfreie Städte und Landkreise die KdU. Pannermayr: „Bund und Freistaat dürfen Städte und Landkreise bei den Kosten für die Unterkunft von Kriegsflüchtenden nicht im Stich lassen. Der Bayerische Städtetag fordert, dass die KdU wieder in vollem Umfang vom Bund übernommen werden, wie dies bis 31.12.2021 der Fall war – ansonsten muss der Freistaat die offenen Kostenanteile übernehmen. Die Kosten der Unterkunft dürfen am Schluss nicht auf kommunaler Ebene hängen bleiben.“
Pannermayr: Kommunen brauchen Beinfreiheit und finanzielle Spielräume
In der Notlage helfen übergangsweise reduzierte Standards bei Kinderbetreuung.
Fesseln des Förderwesens müssen gelockert und Verfahren vereinfacht werden.
Die Erfahrungen mit den Fluchtbewegungen im Jahr 2015, der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg haben laut Oberbürgermeister Markus Pannermayr, Vorsitzender des Bayerischen Städtetags, gezeigt: „Das, was in der Welt passiert, fällt letztlich zur Lösung auf kommunaler Ebene an. Die kommunale Ebene hilft tatkräftig bei der Bewältigung der Folgen des Ukraine-Krieges. Ein Fundament für das Krisenmanagement ist eine stabile Infrastruktur und die kommunale Daseinsvorsorge. Um ihre Aufgaben erfüllen zu können, müssen die Kommunen angemessen finanziell ausgestattet sein. Die Herausforderungen des Ukraine-Krieges verursachen bei Städten und Gemeinden hohe Kosten. Die Kommunen brauchen Beinfreiheit für schnelles Handeln und finanzielle Spielräume. Die Finanzierung von immer neuen gesamtgesellschaftlichen Aufgaben muss gesichert sein. Es kommen hohe Anforderungen an die Integrationsfähigkeit der Kommunen – dies erfordert Kraft, Ausdauer und Geld. Gute Lösungen gelingen dann, wenn die kommunale Ebene frühzeitig auf Augenhöhe in staatliche Entscheidungen eingebunden ist und im praktischen Vollzug von Lösungen mitgenommen wird.“
Eine zentrale Frage ist der Zugang zum Arbeitsmarkt, der möglichst unkompliziert erfolgen muss, sagt Pannermayr: „Viele Ukrainerinnen, die mit ihren Kindern zu uns kommen, wollen ihren Lebensunterhalt selbst stemmen, um nicht auf fremde Hilfe angewiesen zu sein: Das bedeutet, dass Mütter Betreuung für ihre Kinder brauchen. Personal- und Raumstandards in Kitas müssen für eine Übergangszeit zügig gelockert und Richtlinien praktikabel gestaltet werden, damit unkompliziert und schnell in der aktuellen Notlage Kinder betreut werden können.“
Herausforderungen stellen sich an Kitas und Schulen, sagt Pannermayr: „Kinderbetreuung steht bereits unter hohem Druck. Erziehungspersonal fehlt, die Kapazitäten bei Räumlichkeiten sind schon jetzt erschöpft. Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder bis sechs Jahren lässt sich in der Praxis bereits jetzt nur schwer erfüllen. Ähnliche, vor allem personelle und räumliche Engpässe zeichnen sich für den geplanten Ganztagsanspruch für Grundschulkinder ab.“ In Anbetracht der Notsituation sollten die Gruppenzahlen für Kinderbetreuung vorübergehend angepasst werden, um mehr Kinder unterbringen zu können. Zu überlegen ist, inwieweit ukrainische Kräfte für Kinderbetreuung oder Unterricht eingesetzt werden können. Hier wäre mehr Flexibilität hilfreich. Insgesamt sollten staatliche Regelungen mehr Spielraum für Improvisation ermöglichen.
Pannermayr fordert mehr kommunale Beinfreiheit und mehr Vertrauen in Städte und Gemeinden. Als wichtigen Bereich markiert er das kleinteilige Förderwesen: „Die Fesseln eines überbordenden Förderwesens mit komplexen Regelwerken müssen gelockert werden. Die Fülle an differenzierten Förderprogrammen muss reduziert, die Verfahren standardisiert und vereinfacht werden. Allein schon der Antrag auf ein Förderprogramm bindet Personal und zieht Kosten nach sich, die oft in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen.“ Im Lauf der Jahre wucherte ein Förderdschungel aus Programmen von EU, Bund und Freistaat. Um ein Förderprogramm zu nutzen, müssen Kommunen vielfältige Auflagen erfüllen und Anforderungskataloge bearbeiten – oft begleitet von Gutachten, komplizierten Planungsschritten und einer Fülle an prüfenden Stellen bei Bezirksregierungen oder Fachbehörden, die ebenfalls unter Personalmangel leiden.
Kommunale Bauämter, Kämmereien, Jugendämter und Schulreferate stoßen in Anbetracht der Vielfalt von spezialisierten Förderprogrammen an ihre Grenzen. Komplexe Vorgaben des Vergaberechts, das vielfach eine europaweite Ausschreibung erfordert, erschweren eine zügige Abwicklung. Das enge Zeitkorsett, differenzierte Auflagen und häufig wechselnde Anforderungen hemmen die Umsetzung, sagt Pannermayr: „Kommunen brauchen Kontinuität und Verlässlichkeit von Programmen. Die kommunale Investitionskraft sollte grundlegend mit höheren Pauschalen oder Fördersätzen im kommunalen Finanzausgleich gestärkt werden, um Schulen, Kindergärten, Kindertagesbetreuung, Radwegebau und Nahverkehr als Daueraufgaben auszubauen. Das sorgt für Planungssicherheit und reduziert Bürokratie.“