Viele Museumsfreunde und Freundinnen fanden sich am Samstag, den 2. Juli 2022 auf Einladung der Stadt Landshut zur Eröffnung der Ausstellung „FÜR LANDSHUT“- Schenkungen und Neuerwerbungen aus 25 Jahren, ein. Oberbürgermeister Alexander Putz begrüßte seine geladenen Gäste.
Franz Schneider hielt die Laudatio zur Verabschiedung von Dr. Franz Niehoff, ehemals Museumsdirektor bei Museen der Stadt Landshut, in der Hl. Geist Kirche:
„Lieber Herr Dr. Niehoff, verehrte Frau Niehoff, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, verehrte Ehrengäste, wertes Team der Städtischen Museen, sehr geehrte Damen und Herren,
Bilder, ja Kunstwerke ganz allgemein, brauchen oder nutzen oft eine Bühne, eine Herausgehobenheit, vielleicht gar eine Enthobenheit, von der aus sie erscheinen und in einen Dialog mit den Betrachtenden treten können. Diese Bühne kann von ganz unterschiedlicher Art sein: ein öffentlicher Platz, ein Museum, ein Ausstellungsraum, ein Podest, ein Sockel, eine Vitrine, ein Wohnzimmerschrank, manchmal auch einfach einige gestreckte Finger, die behutsam ein kleines kunsthandwerkliches Objekt vor das betrachtende Auge halten. Auch Marcel Duchamp wusste das und hat sich darauf bezogen, als er 1917 ein Urinal auf einen Sockel stellte. Allerdings löste er mit diesem bis heute einflussreichen, als „Fontäne“ betitelten Ready-Made auch einen Kunstskandal aus. Aber lassen wir die Fontäne, die ohnehin verschollen ist, beiseite und widmen uns den Exponaten, von denen Herr Stangier gesprochen hat.
Viele von ihnen sind Kunstwerke oder kunsthandwerklich gestaltete Objekte, die sich von anderen produzierten Gegenständen und von den Werken der Natur abheben. Man könnte sagen, es sind besondere, selbstständige Gestaltungserscheinungen. Aber kein Kunstwerk und keines dieser Objekte ist nur reine Kunst. Jedes dieser Exponate ist auch geschichtlich, sozial und örtlich gebunden und vom Material abhängig. Man kann es unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten – unter formalen, inhaltlichen, praktischen, regionalen, geschichtlichen, gesellschaftlichen, religiösen und vielen mehr. Und weil sich so viele Lebenslinien in ihnen kreuzen, können sie auch zum Erzählen gebracht werden.
So ist die überlebensgroße Andreas-Skulptur von 1700 ästhetisch betrachtet vielleicht nicht sonderlich interessant, doch erzählt sie von historisch epochalen Ereignissen, die Bayern erschüttert und geprägt haben. Vermutlich aus kirchlichem Besitz stammend, wurde sie Anfang des 19. Jahrhunderts im Zuge der Säkularisierung verschleudert und auf ein bäuerliches Anwesen gerettet. Dort blieb sie hunderte von Jahren vielleicht auf einem Dachboden, erschreckte auf dieser ganz besonderen Bühne vermutlich Generationen von Kindern und erfüllte die Erwachsenen im düsteren Halbdunkel mit einem ehrfürchtigen Schauer. Zugleich erzählt sie eine bedingt gelungene frühere Renovierungsgeschichte, lenkt unseren Blick auf eine der ergänzten hölzernen Extremitäten und die blätternden Schichten farbiger Fassung.
Die Zeit auf dem Dachboden steckt ihr immer noch in den Gliedern. Einem solchen düsteren Dachboden ähnelte auch das Kreis- und Stadtmuseum vor Ankunft von Dr. Franz Niehoff. Ich erinnere mich gut an mehrere Besuche dort in den 80er Jahren, wo man von einem bemüht freundlichen Führer durch die Räume gelotst wurde, in denen Exponate aufgereiht waren, und bei denen man lediglich so lange verweilen konnte, bis der Museums-Führer mit den kurzen Erläuterungen zu seiner subjektiven Auswahl fertig war, zum Aufbruch in den nächsten Raum drängte und hinter uns wieder das Licht löschte und abschloss. Was man eigentlich gesehen hatte – oder gern gesehen hätte, konnte man mit etwas Glück dann in einem gedruckten Schwarz-Weiß-Heftchen im Kassenhäuschen nachlesen. Vergegenwärtigt man sich die Situation in den Städtischen Museen heute, und exemplarisch in den Räumen der Stadtresidenz bis 2021, so wird der Unterschied frappant – und zeigt, was möglich ist, und wofür wir uns auch weiterhin einsetzen sollten.
In gut belichteten, anschaulichen Präsentationen wurden dem Besucher die Exponate der Archäologie-Region Landshut sowie der für Landshut so bedeutsamen Keramik-Region präsentiert, mit denen er in einen echten Dialog treten konnte, im selbst gewählten Rhythmus und doch sanft geleitet durch eine durchdachte Führungslinie mit thematischen Verdichtungen und exzellentem Begleitmaterial. Gerade im Bereich der Keramik führt mit der Sammlung Rudolf Strasser der Brückenschlag von der Vergangenheit in die Gegenwart und vom Handwerk zur Kunst weit über Landshut hinaus. Sie repräsentiert den globalen „State of the Art“ künstlerischer Keramik und verbindet sie mit dem traditionell in unserer Region verankerten Handwerk – was ja auch mit einer 150 Jahre alten renommierten Keramikschule mit Schüler:innnen aus aller Welt gut korrespondiert und dieses uralte Handwerk bis in die Kunst der Gegenwart führt. Dies zeigt auch, wie erfolgreich Dr. Franz Niehoff darin war, unterschiedliche Akteure für gemeinsame Ziele zu motivieren und zu vernetzen.
Und eines unserer Ziele war und ist sicherlich, unsere traditionsreiche Kulturstadt mit all ihren materiellen und immateriellen Schätzen auch in der Gegenwart kulturell anzureichern und beizutragen, dass sie für eine aufgeschlossene und an aktueller Kultur interessierte Bürgerschaft anspruchsvolle und attraktive Angebote bereithält, die über einen reinen Eventcharakter hinausgehen. Es ist ein Ziel, dem wir gemeinsam in den letzten 25 Jahren erheblich nähergekommen sind. Die Stadt als Bühne der Bilder bot der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts nämlich jahrzehntelang keine. Sie hatte und hat zwar eine große Kultur des bürgerlichen Theaters – und das leidenschaftliche Ringen vieler Bürger um einen zeitgemäßen Bau für das Stadttheater belegt, wie lebendig diese Kultur im 21. Jahrhundert ist – doch einen Kunstverein oder einen regelmäßig betriebenen Ausstellungsort für aktuelle Kunst gab es erst seit 1970 mit dem Kunstkreis Landshut, damals noch ein Produzentenverein regionaler Künstler. Die Gründung des Vereins für aktuelle Kunst mit der Galerie am Maxwehr 1985 und in der Nachfolge sieben Jahre später mit der Neuen Galerie auf der Mühleninsel sorgte dann für einen weiteren Schub; allerdings wurden diese Initiativen in der Öffentlichkeit eher als subkulturelle Angebote angesehen; beide Vereine zeigten zwar anspruchsvolle aktuelle Kunst, die großen und bekannten Namen fehlten jedoch.
Und dann kam Franz Niehoff: Mit fulminanten Ausstellungen in Heilig-Geist sorgte er für überregionale Aufmerksamkeit: Die überwältigenden Wachskreuze von Robert Longo, die beiden großen roten Fahnen Morgen Rot und Abend Rot von Rupprecht Geiger in Heilig Geist waren Setzungen, die die aktuelle Kunst mit einem Paukenschlag in Landshut verorteten. Und dann bekamen auch unsere regionalen Künstler:innen die Chance, mit Ausstellungen und Installationen in und um Heilig Geist in Erscheinung zu treten: Dagmar Pachtner, Josef Sailstorfer, Michael Lange, Anton Kirchmair, Bernhard Kühlewein, Michael Sailstorfer und viele mehr. Damit wurde die aktuelle Kunst in die öffentliche Aufmerksamkeit geführt – und in die nicht immer freundliche Auseinandersetzung mit ihr. Doch in dieser Reibung wuchs auch das Interesse, die Vertrautheit, die Akzeptanz und der Anspruch des Publikums an aktuelle Kunst, und heute hat die Stadt Landshut eines der reichsten und qualitativ hochwertigsten Angebote an überregionaler und regionaler Kunst im Vergleich zu anderen bayerischen Städten dieser Größenordnung: Zwei Kunstvereine, vier Galerien, zwei Produzentenvereine, vier von der Stadt betriebene Ausstellungsräume und die Städtischen Museen sorgen für eine einzigartige Kunstlandschaft. Das Besondere dabei ist die Vernetzung der Akteure, die sich nicht nur in der Kunstnacht zeigt, sondern in wechselnden Kooperationen zur Realisierung von Ausstellungsprojekten, immer wieder auch mit den und durch die städtischen Museen, etwa bei dem Projekt „Gegenwartskunst und Stadtgeschichte im Dialog“ mit den beiden Kunstvereinen, beim Projekt „Nähe und Ferne“, oder „Kunst- und Wunderkammer revisited“ mit der Neuen Galerie, bei „40 Jahre Kunstverein“ und „Druckkunst aktuell in Niederbayern“ mit dem Kunstverein Landshut.
Und gerade öffnet sich auch das KOENIGMuseum intensiv der aktuellen Kunst und den Akteuren vor Ort. Nun ist die Aufgabe eines Kunstvereins oder einer Galerie in erster Linie, Kunst zu vermitteln und Künstler zu präsentieren; die Aufgaben eines Museums sind bedeutend umfangreicher und komplexer: Es geht um Sammeln und Bewahren, um Forschen und Dokumentieren, um Einordnen und Verbindungen Herstellen, um Zeigen und Vermitteln. Das ist nicht immer einfach und nicht zu allen Zeiten waren und sind alle Werke dem vollen Verstehen und Einordnen zugänglich. Darüber hinaus gibt es auch einen Wechsel der allgemeinen Ansicht über Kunst. Die Bedeutung von Rembrandts Malerei wurde noch von Jakob Burckhardt abschätzig beurteilt. Und selbst der große Ruhm Raffaels oder auch Schwanthalers war an bestimmte Zeiten gebunden. Das bleibt eine Herausforderung, insbesondere, weil hier eben auch unterschiedliche Einschätzungen und Erwartungen neben- und manchmal auch gegeneinanderstehen – und weil auch wir manchmal Bühnen suchen für unsere performativen Aushandlungsakte.
Wer sich exponiert, wird stets auch in der Kritik stehen.
Diese auszuhalten gelingt Franz Niehoff auch deshalb so gut, weil er alles, was er anpackt, mit überzeugender Leidenschaft, tiefem Eintauchen und fast völligem Einswerden mit der jeweiligen Materie angeht- und weil er einen langen Atem besitzt, der ihm erlaubt, zielstrebig die Richtung zu halten. Und wer ihn einmal in der Schwimmschule beim Pflügen seiner Bahnen erlebt hat, ahnt, dass dies in allem seiner Grundhaltung entspricht. Zugute bei der Vorbereitung seiner Projekte kam ihm, dass er darüber hinaus ein homme des lettres par excellence ist: Meine Teamkollegin in der Neuen Galerie, Steffi Gilles, erzählte mir: „Im Gespräch mit ihm muss man eigentlich immer mit dem Notizblock sitzen, denn alle drei Minuten fragt er: kennst du das Buch von…, das man natürlich nicht kennt, und das er bereits zum dritten Mal liest. Oder man trifft ihn mittags in seinem Stammlokal „Siam Feinkost“, mit einem soeben erstandenen Buch und man merkt ihm an, dass er hin und hergerissen ist, ob er es jetzt gut finden soll, beim Essen Gesellschaft zu haben oder es eher bedauert, weil er nicht im neu erworbenen Schatz blättern kann. Und ich muss gestehen, dass auch ich viele seiner inspirierenden Literaturtipps – von Welschs „Neue Wege der Ästhetik“ über Pethes‘ „Kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorien“ bis zu Peter von Matts erhellendem Werk über Theorie und Praxis der Hinterlist postwendend im örtlichen Buchhandel bestellt habe – und ich habe keine einzige Bestellung bereut.
Dass sich aus einer solchen Belesenheit ein unglaublich weiter Wissenshorizont erhebt, muss nicht verwundern; dass dieser dazu führt, auch dem Kleinen, dem scheinbar Unbedeutenden mit Interesse zu begegnen, es zart in die Hand zu nehmen, vielleicht eher schon. Die Neuerwerbungen für Landshut beinhalten eine Vitrine mit Objekten, die eine kleine Rezeptionsgeschichte des Gnadenbildes der Muttergottes mit dem geneigten Haupt darstellt. Diese kleinen Reliquienkapseln dort sind liebevoll gefertigte Schreine für die Miniatur des Gnadenbildes, die sich aufgeklappt in ebenso graziöse wie grazile Bühnen für deren Inhalt verwandeln, die wir als Zeichen der Volksfrömmigkeit lesen können, die aber genauso eine Wirkungsweise der Kunst erfüllen, nämlich jedes alltäglichen Zweckes entbunden zu sein, was Schopenhauer als die Betrachtungsart der Dinge unabhängig vom Satz des Grundes, bezeichnet hat. Was sich dem Betrachter auf dieser Miniaturbühne also öffnet, ist eine von jeder willentlichen Motivation losgelöste Idee, eine Art klares Weltauge, eine Ahnung von jener Erlösung, die erst eintritt, wenn wir die ganze Welt der Motive, die uns ständig umtreiben, hinter uns lassen. Dass diese zwiespältige Sehnsucht durch die Zeiten ungebrochen ist, zeigt ein volkstümliches Filztäschchen, das noch einmal das Motiv der Muttergottes aufgreift, diesmal der Zeit entsprechend deutlich schmuckloser, aber mit einem eindeutigen und überraschend individuellen Gestaltungswillen. Dieser wertschätzende Blick auch auf das Geringe, auf all die berührenden Bemühungen, das Leben und den Alltag zu gestalten und ihnen so Schönheit zu verleihen, ist ein Sammlungskriterium, welches in all diesen Exponaten leuchtet. Hier in der Ausstellung werden sie ihrem Alltag enthoben und in die Vitrine, auf den Sockel, ja auf die Bühne der Heilig-Geist-Kirche gehoben. Ein schöneres Bild könnte das engagierte und kompetente Team der Städtischen Museen ihrem loyalen Chef und Leiter nicht als Abschiedsgeschenk mitgeben.
Der Zufall wollte es, lieber Dr. Niehoff, dass ich eine der ersten Personen aus dem Kulturleben war, der Ihnen begegnete, als Sie 1996 zum ersten Mal, als von Fritz König vorgeschlagener Bewerber für den Aufbau und die Leitung der Städtischen Museen nach Landshut kamen. Für mich ist es durchaus bewegend, dass sich mit mir dieser Kreis nun auch schließt. Und für diesen Schluss möchte ich ein Zitat des Schriftstellers Olivier de Kersauson sprechen lassen, welches wohl die Schöpfer all dieser Exponate und sicher auch viele von Ihnen in Ihrem Inneren antreibt, und die er überschreibt mit: Die Welt, wie sie zu mir spricht.
Es lautet:
Leben ist ein Privileg. Es ist keine Pflicht. Wir müssen also die Höflichkeit und die Eleganz besitzen, zu genießen, dass wir am Leben sind, und zwar in der Weise, dass wir diesem Leben Schönheit geben. Das Bewusstsein unseres Privilegs muss sich in einem erweisen, einer einzigen Frage, jeden Morgen: Wie kann ich dem neuen Tag Schönheit verleihen? Die Welt über die Zeiten hinweg und verortet in unserer Stadt, wie sie uns diese Ihre letzte Ausstellung mit dem Team der Städtischen Museen noch einmal in vielen Facetten vor Augen stellt, spricht genau in diesem Sinne zu uns. Und so werden all Ihre Bemühungen um die Schaffung und Wahrnehmung von Schönheit in diesem tieferen Sinn weiterhin inspirierend und fruchtbar für uns und die Stadtgesellschaft sein. Und dafür danken wir Ihnen.“
– F. Sch. –
Die musikalische Gestaltung übernahm Susanne Kaiser an der Konzertharfe
Fotos: h.j.lodermeier