Auftakt der Landshuter Aktionstage „50 Jahre Psychiatrie-Enquête“
Mit einem Festakt im Kinopolis Landshut haben am Montagabend die Landshuter Aktionstage „50 Jahre Psychiatrie-Enquête“ begonnen. Zahlreiche Gäste aus Politik, Gesundheitswesen und Gesellschaft folgten der Einladung des Regionalen Steuerungsverbundes (RSV) Landshut, um gemeinsam ein halbes Jahrhundert psychiatrischer Reformen Revue passieren zu lassen – und den Blick zugleich nach vorne zu richten.
Bei der Begrüßung der Gäste hob Doris Donderer, Geschäftsführerin des RSV Landshut, das Ziel der Veranstaltungsreihe hervor: „Alle zehn Jahre feiern wir in Landshut den Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland, die Psychiatrie-Enquête. Mit den Aktionstagen möchten wir das Thema psychische Gesundheit mitten in die Öffentlichkeit holen – in Kinos, auf Bühnen, in Gesprächen.“ Sie bedankte sich zudem bei allen Partnern, die die Veranstaltung ermöglichten, darunter das Team des Kinopolis Landshut und 35 milli(m)eter sowie die Mitglieder des RSV-Ausschusses für ihre Arbeit an der Programmgestaltung.
Fritz Wittmann, stellvertretender Landrat des Landkreises Landshut, und Stadtrat Hans-Peter Summer, betonten beide in ihren Grußworten die Bedeutung der Psychiatrie-Enquête für die Region. Wittmann hob hervor, dass die Reformen vor 50 Jahren einen Wendepunkt markierten und heute ein breites Netzwerk aus ambulanten Behandlungen, sozialpsychiatrischen Diensten und ehrenamtlichen Initiativen betroffenen Menschen wohnortnahe Unterstützung biete: „Die Herausforderungen bleiben groß – psychische Erkrankungen nehmen zu, besonders unter jungen Menschen, und der Fachkräftemangel erschwert die Weiterentwicklung der Versorgung.“ Summer unterstrich, dass die Stadt Landshut diese Entwicklungen aktiv begleite und die Aktionstage ein wichtiges Signal seien, um psychische Gesundheit in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen.
„In den vergangenen 50 Jahren hat sich in der psychiatrischen Versorgung in Bayern viel getan“, sagte Bezirkstagspräsident Dr. Olaf Heinrich, zugleich auch Schirmherr der Aktionstage. „Den Anfang nahm alles 1975 mit der „Psychiatrie-Enquête“, die wegweisende Reformen zur Versorgung psychisch kranker Menschen gefordert und damit einen notwendigen, tiefgreifenden Wandel in der Psychiatrie eingeleitet hat.“ Seither hätten die bayerischen Bezirke, die sowohl für die stationäre als auch ambulante psychiatrische Versorgung verantwortlich sind, mit Unterstützung des Freistaates Bayern große Anstrengungen unternommen, um ihrem Auftrag gerecht zu werden. Und weiter: „Ein Jubiläum ist aber immer auch Anlass, um nach vorne zu blicken – und dabei stellen wir fest: Wir dürfen uns trotz aller Erfolge in der Vergangenheit nicht auf dem Erreichten ausruhen. Denn auch wenn die Versorgung besser wurde, die psychischen Erkrankungen an sich haben nicht abgenommen. Konnten wir in den 50 Jahren wichtige Versorgungsstrukturen aufbauen, so gilt es heute, diese weiterhin zu gewährleisten.“ Es gelte einen gangbaren Weg aus Qualität und Quantität zu finden, um auch in Zukunft möglichst vielen Menschen helfen zu können.
Im Mittelpunkt des Abends stand der Festvortrag von Prof. Dr. Hermann Spießl, Ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses Landshut (BKH). Spießl sprach zunächst über die Situation vor der Psychiatrie-Enquête 1975 – und zeichnete ein finsteres Bild: Die damaligen Anstalten seien für das Gros der Patienten eine Einbahnstraße gewesen, 80 bis 90 Prozent von ihnen blieben dort ihr Leben lang. Die Bedingungen seien entwürdigend gewesen. Kontakte nach draußen seien in den abgelegenen Einrichtungen schwierig zu halten gewesen, es habe nur selten warmes Wasser oder private Gegenstände gegeben. Selbst grundlegende Hygieneartikel wie Zahnbürsten seien nicht Standard gewesen, so Prof. Spießl.
Für die Versorgung von psychisch Kranken sei die Psychiatrie-Enquête ein echter Meilenstein gewesen. Prof. Spießl: „Ihre wichtigsten Bestimmungen waren: Enthospitalisierung der der Langzeitpatienten, Gleichstellung psychisch Kranker mit körperlich Kranken, bedarfsgerechte Versorgung aller psychisch Kranken, Auf- und Ausbau von ambulanten Hilfsangeboten im Lebensumfeld der Patienten und ihrer Familien, der Ausbau von Selbsthilfenetzwerke und weitere wichtige Maßnahmen.“
Im Rahmen der Umsetzung der Enquête wurde 1980 dann der erste „Bayerische Landesplan zur Versorgung psychisch kranker und psychisch behinderter Menschen“ aufgelegt, wie Prof. Spießl weiter ausführte. „In diesem Jahr wurde erstmals im Bayerischen Sozialministerium der Bau eines BKH Landshut thematisiert.“ Es folgten 1982 der Beschluss des Bezirks Niederbayern für den Bau des BKH, 1983 die Zustimmung des Landshuter Stadtrats, 1984 der Kauf des Grundstücks und 1990 der Spatenstich. „Das war ein wichtiger Schritt für die Versorgung psychisch Kranker in Niederbayern“, so Spießl. 1993 wurde das BKH Landshut schließlich eröffnet und ging 1995 in den Vollbetrieb über. 210 Betten sowie 20 tagesklinische Plätze und eine Institutsambulanz gibt es heute in der Erwachsenenpsychiatrie, über 50 Betten, 14 tagesklinische Plätze und mehrere Institutsambulanzen an verschiedenen Standorten zusätzlich in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Zudem haben sich sozialpsychiatrische Dienste, Tagesstätten und viele weitere Einrichtungen gut etabliert. Niederbayern verfügt damit über eine moderne, dezentrale und hochwertige psychiatrische Versorgung. Das macht die Psychiatrie-Enquête von 1975 auch in unserer Region zu einer Erfolgsgeschichte“, deren Fortschreibung aber durch Finanzierungsprobleme und Fachkräftemangel gefährdet ist, so Prof. Spießl.
Den Abschluss des Abends bildete die Filmvorführung des deutsch-belgischen Spielfilms „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“. Der Film erzählt die Geschichte von Joachim Meyerhoff und seiner Kindheit als Sohn des Direktors einer psychiatrischen Klinik.
Die Landshuter Aktionstage werden in den kommenden Tagen fortgesetzt. Im Kinopolis stehen die Filme „The Son“ (14. Oktober) und „Der Rausch“ (15. Oktober) auf dem Programm, bevor am 16. Oktober der Theaterabend „All das Schöne“ im Salzstadel den Abschluss bildet. Ziel der Veranstaltungsreihe ist es, psychische Erkrankungen in der Mitte der Gesellschaft sichtbar zu machen – offen, verständlich und ohne Berührungsängste. Weitere Informationen finden Sie und www.landkreis-landshut.de unter „Aktuelle Meldungen“.