Die oft vergessenen Leidtragenden in Familien mit erkrankten Kindern
Landshut, 09. April 2025 – Im niederbayerischen Landkreis Rottal-Inn lebt die zehnjährige Melisa* mit ihren Eltern und den drei Geschwistern. Zu ihrem Zwillingsbruder Besian* hat sie eine besonders tiefe Verbindung. Doch Besian ist schwer krank – eine seltene erbliche Form der Epilepsie macht ihn rund um die Uhr pflegebedürftig. „Ich finde es so toll, Besian zu haben, er ist mein Herz“, sagt Melisa. Doch sie kennt auch die schwierigen Seiten. „Die schlechten Momente sind, wenn Besian im Krankenhaus ist. Dann vermisse ich meine Mama und meinen Bruder sehr.“ Trotz allem bleibt sie stark. Ihr großer Traum? „Ich will Ärztin werden, um Besian im Auge zu haben.“
Geschwister oftmals stille Leidtragende
Anlässlich des Welt-Geschwistertags am 10. April stellt das Zentrum Niederbayern der Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München (AKM) diese oft übersehenen „kleinen Held*innen“ in den Mittelpunkt. Denn in Familien mit einem schwer erkrankten Kind geraten Geschwister häufig in den Hintergrund – dabei spielen sie eine tragende Rolle im Familienalltag und benötigen eine besondere Unterstützung. Während die Eltern viel Zeit und Energie in die Pflege des kranken Kindes investieren, übernehmen Geschwister häufig früh Verantwortung, entwickeln Ängste und verzichten auf vieles. Studien zeigen, dass sie dabei ein erhöhtes Risiko haben, emotionale und soziale Probleme zu entwickeln. „Viele dieser Kinder wollen ihre Eltern nicht zusätzlich belasten. Sie unterdrücken ihre eigenen Sorgen und Wünsche, um den Familienalltag nicht noch schwieriger zu machen“, erklärt Bettina Mayer, Leiterin des Zentrums Niederbayern und Kinderhospizfachkraft. „Doch sie brauchen ebenfalls Raum für ihre eigenen Gefühle und die Aufmerksamkeit, die sie verdienen.“ Das weiß auch Melisa und denkt zurück, als sie zum ersten Mal merkte, dass Besian anders ist. „Ich will mich nicht erinnern, weil ich immer gehofft habe, Besian wird gesund und wir können zusammen in die Schule gehen“, erzählt sie. Diese Hoffnung trägt sie bis heute, denn sie träumt immer noch davon, dass ihr Bruder eines Tages mit ihr gemeinsam den Alltag erleben kann. Melisa aber hat ihre ganz eigene Methode gefunden, mit ihren Gefühlen umzugehen. Wenn sie traurig oder wütend ist, zieht sie sich zurück und malt. „Ich gehe in mein Zimmer und ich zeichne mich und Besian, um mich zu beruhigen“, sagt sie. Diese kleinen Momente der Kreativität helfen ihr, sich zu entspannen und ihre Gedanken zu ordnen.
Unterstützung durch das Zentrum Niederbayern
Das Zentrum Niederbayern der Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München (AKM) mit Sitz in Landshut begleitet Familien mit schwer erkrankten Kindern in der gesamten Region – einfühlsam, ganzheitlich und individuell. Im Fokus steht nicht nur das erkrankte Kind, sondern die gesamte Familie – auch die Geschwisterkinder. Kinderhospizfachkräfte wie Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger*innen, Sozial- sowie Heilpädagog*innen stehen den Geschwistern mit viel Herz und Fachwissen zur Seite. Sie hören zu, schaffen Raum für Gefühle, und helfen dabei, Sorgen und Ängste kindgerecht zu verarbeiten. Gleichzeitig dürfen die Kinder einfach Kind sein: Bei gemeinsamen Ausflügen, Spiel- und Sportangeboten sowie speziellen Ferienaktionen erleben sie Leichtigkeit und sammeln wertvolle Erinnerungen. Auch die Eltern werden gezielt unterstützt – zum Beispiel durch praxisnahe Impulse, wie sie ihre gesunden Kinder sensibel und achtsam in den oftmals herausfordernden Alltag einbinden können, ohne diese zu überfordern. „Unser Ziel ist es, auch den Geschwistern eine Stimme zu geben und ihnen die Unterstützung zu bieten, die sie brauchen“, betont Bettina Mayer. „Jedes Kind verdient es, gesehen und gehört zu werden – unabhängig davon, ob es gesund oder krank ist.“
Wie Eltern ihre gesunden Kinder unterstützen können
Eltern von schwer kranken Kindern stehen täglich vor enormen Herausforderungen. „Es ist uns wichtig zu betonen, dass sie keine Schuld daran tragen, wenn sich gesunde Geschwister manchmal vernachlässigt fühlen“, so Bettina Mayer. Dennoch gibt es einige Wege, wie Eltern ihre gesunden Kinder unterstützen können. Zum Beispiel durch offene Kommunikation. Kinder haben viele Fragen und Ängste und da hilft es, wenn Eltern ehrlich und altersgerecht über die Krankheit des Geschwisters sprechen. Gemeinsame Zeit, sei es durch Spiele, einen Spaziergang oder eine Gute-Nacht-Geschichte, stärkt die emotionale Bindung. Gleichzeitig brauchen Geschwister ihre eigenen Freiräume, um Hobbys und Freundschaften außerhalb der Familie pflegen zu können. Und auch professionelle Unterstützung kann eben eine wertvolle Hilfe sein. Denn es ist wichtig, dass gesunde Geschwister in ihrer eigenen Welt wahrgenommen werden und ihre Bedürfnisse nicht in den Hintergrund geraten.
Foto: Familie K. privat
Mut, Liebe und ganz viel Hoffnung
Genau wie Melisa. Auch sie hat noch viele Träume für die Zukunft. Sie möchte Ärztin werden – nicht nur, um ihrem Zwillingsbruder zu helfen, sondern vielen anderen Kindern wie ihm. „Mir fällt es leichter zu lernen, wenn ich an Besian denke, weil ich mal Ärztin werden will“, erklärt sie. Am Weltgeschwistertag wollen wir Melisa und all jene kleinen Held*innen feiern, die mit unerschütterlichem Mut, Liebe und Hoffnung an der Seite ihrer Geschwister stehen – in Zeiten des Glücks genauso wie in Momenten der Herausforderung. Dabei dürfen wir nur eines nicht vergessen. Solche Geschwister tragen früh große Lasten und verdienen deshalb viel Liebe und Unterstützung. Für Melisa ist es auch die eigene Familie, die ihr hilft, mit schwierigen Momenten umzugehen und das wünscht sie sich auch für alle anderen betroffenen Kinder: „Ich hoffe, die anderen Kinder haben auch so ein Glück wie ich und haben eine große Familie, die immer für sie da ist, auch wenn das Leben mal nicht so einfach ist“.
Foto:
Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München (AKM)
Über Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München (AKM)
Seit 2004 betreut die Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München (AKM) Familien mit lebensbedrohlich und lebensverkürzend erkrankten Ungeborenen, Neugeborenen, Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen oder erkrankten Elternteilen in München und ganz Bayern. Dabei wird das Team aus hauptamtlichen Ärzt*innen, Psycholog*innen, Krankenschwestern, Heilpädagog*innen, Therapeut*innen und Sozialarbeiter*innen von rund 300 Ehrenamtlichen in den Bereichen Familienbegleitung, Krisenintervention und Öffentlichkeitsarbeit unterstützt. Ziel soll es sein, den Familien in dieser schwierigen Zeit eine feste Stütze zu sein und Momente der Sicherheit, Geborgenheit und Normalität zu schenken.
Das Zentrum Niederbayern mit der Nachsorgeeinrichtung Bunter Kreis Landshut (Träger: Stiftung AKM) ist aufgrund des wachsenden Bedarfs an Unterstützung und Betreuung von Familien mit schwersterkrankten Kindern und Jugendlichen in der Region entstanden. Neben kürzeren Wegen für Familien und Helfer kann die Versorgung so auf die individuellen Bedürfnisse in der Region angepasst werden, auch im Notfall ist schneller jemand vor Ort. Das Zentrum Niederbayern ist in der gesamten Region im Einsatz und bietet das gesamte Leistungsspektrum der Stiftung AKM an. Von der Nachsorge über Angehörigenberatung bis hin zum Familienbegleitenden Kinderhospizdienst. Dabei arbeitet das Team eng vernetzt mit Kliniken, ärztlichen Fachkräften für Kinder- und Jugendmedizin, spezialisierten Fachdiensten sowie Behörden der jeweiligen (kreisfreien) Städte und Landkreise zusammen. Zudem bestehen Kooperationen u.a. mit Erwachsenenhospizvereinen, Kliniken, Nachbarschaftshilfen und Pflegediensten.
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